Uwe Timm: ROT

Mit Eifer in 2 Tagen gelesen : UWE TIMM : ROT  (erschienen 2001)

 Uwe Timm legt einen Roman vor, der mit erzählerischen Mitteln in den Bewusstseinshaushalt der 68er eindringt. Thomas Linde heißt sein Held, ein ehemaliger "Rädelsführer" der Studentenbewegung, der sich nun als Beerdigungsredner und Jazzkritiker durch ein bildungsbürgerliches Leben bewegt. Seine Ideale sind ihm nicht gänzlich abhanden gekommen; eine große Rolle spielen sie allerdings auch nicht mehr für ihn. Er ist zum Pragmatiker geworden, gerade noch ein paar Schritte vom Zyniker entfernt. Die Utopien sind tot. Der wilde Aufbruch hat sich längst in eine zaudernde Melancholie verwandelt. Die Vergänglichkeit wird plötzlich konkret. 

Aber noch einmal kommt alles zurück: Linde erhält den Auftrag, eine Grabrede auf einen gewissen Lüders zu halten, der sich rasch als der frühere Kampfgenosse Aschenberger entpuppt, einer, der seinen linken Grundsätzen nie abgeschworen hat. In Aschenberger kristallisiert sich das verloren Gegangene - ein kompromissloser Idealismus, der auch vor terroristischen Anschlägen nicht Halt macht. Linde entdeckt bei den Recherchen für seine Rede auf Aschenberger nicht nur eine Unzahl von Karteikarten, beschrieben mit aphoristischen Theoriebruchstücken , die seltsam unzeitgemäß und wahr klingen; er findet zudem Sprengstoff und Notizen, die darauf schließen lassen, dass Aschenberger die symbolisch hoch aufgeladene Siegessäule in die Luft sprengen wollte.

Thomas Linde sieht sich plötzlich eingeholt: Auf der einen Seite frisch verliebt in eine 21 Jahre jüngere Frau, die in ihm nicht zuletzt ein interessantes Fossil einer untergegangenen Zeit entdeckt. Auf der anderen Seite der Sprengstoff, den er fortan mit sich schleppt - eine Verpflichtung gegenüber einer verratenen Vergangenheit. Hatte sich Aschenberger Thomas Linde nicht nur als Totenredner, sondern auch als ausführendes Werkzeug seiner Pläne gewünscht?

Uwe Timm lässt in einem traditionell und souverän erzählten Roman ein Panorama der jüngsten deutschen Geschichte entstehen: die Risse, die durch die Linke gehen, das Unerledigte, das die Generation explosiv mit sich herumträgt, der Drang nach einem richtigen Leben im falschen. Längst etabliert bleibt für die Fiftysomethings, die sich nur schwer ihr Altsein eingestehen, allein die Erinnerung an den Traum von einer anderen Welt. Eine bessere haben sich die meisten 68er längst geschaffen: Der Toscana-Freund und Weinkenner taucht hier als klischeehafte Figur nämlich ebenso auf wie eben der unverbesserliche und darob gescheiterte Weltverbesserer. Das ist alles ein bisschen so, wie man es sich vorstellt. Uwe Timm zeigt zwar die Brüche in den Biografien, aber die kennen wir zur Genüge. Auch die Menschen, durch die sich diese Widersprüche im Lauf der Zeit gefressen haben, geistern ja tagtäglich und recht erfolgreich durch die Medienlandschaft. Bei Timm sind sie oft nicht mehr als Abziehbilder. Aus: https://literaturkritik.de/id/4286 

Von ihm hatte ich auch gelesen : Der Mann auf dem Hochrad