Habe das Buch von Jürgen Todenhöfer "Die große Heuchelei" mit Interesse gelesen.
Verlagstext: Ein großes Plädoyer für Humanismus, eine schonungslose Reportage über
das wahre Gesicht unserer Zivilisation und ein Frontbericht aus den
Krisengebieten der Welt – das wichtigste Buch von Bestsellerautor Jürgen
Todenhöfer . Die Außenpolitik des Westens beruht auf einer zentralen
Lüge: Seine oft terroristischen Militärinterventionen dienen nie der
Freiheit und Demokratie, sondern stets ökonomischen und geostrategischen
Interessen. Unter Lebensgefahr recherchierte Jürgen Todenhöfer dies
zusammen mit seinem Sohn Frederic in den gefährlichsten Krisengebieten
der Welt. Sein Fazit: Der Westen muss die Menschenrechte vorleben, statt
sie nur vorzuheucheln. Und seine Medien müssen damit aufhören, diese
Heuchelei zu decken. Der Westen wird sonst alle Katastrophen der
Vergangenheit erneut erleben. Er muss andere Völker und Kulturen so
behandeln, wie er selbst behandelt werden will. Nur dann hat er eine
Zukunft.
LESENSWERT !
In einem Interview bei rubikon äußert er sich so:
Lassen Sie mich etwas zur Rolle
Deutschlands sagen. Bei dieser Kriegspolitik ist Deutschland nicht
der Antreiber, wir sind Mitläufer. Wir laufen sehr häufig mit. In
Afghanistan waren wir nicht die Hauptkriegsführer, obwohl wir da
auch Unheil angerichtet haben. Im Jemen sind wir nicht der
Hauptwaffenlieferant, aber wir liefern Waffen, mit denen getötet
wird. Wir sind eben der Mitläufer. Auch die Kanzlerin unterschätzt
völlig die Möglichkeiten der deutschen Politik. Die Kanzlerin
konzentriert sich, was ich als sehr verdienstvoll ansehe, auf Europa.
Aber wenn sie meint, dass Deutschland im Fahrersitz sitzt, ist das
der totale Irrtum. In all den Ländern, die ich im Laufe unseres
Gesprächs genannt habe, ob lateinamerikanische, afrikanische oder
mittelöstliche Staaten, gibt es den Wunsch, Deutschland als
Vermittler zu gewinnen, als ehrlichen Makler. Das ist die Rolle, die
ich für Deutschland auch sehe. Dass Deutschland sich unabhängiger
macht von den Vereinigten Staaten und in Konflikten als Vermittler
agiert und nicht als Mitläufer und Waffenlieferant.
Bei den nachdenkseiten gibt es ein langes Interview. Hier Auszug:
Wenn Sie sich gegen die Macht stellen, wehrt sich die Macht. Das
muss man wissen, da darf man sich auch gar nicht drüber beschweren.
Ich beschwere mich deswegen auch nicht. Und wenn Sie fragen, was kann
man machen, müssen Sie erstens aufklären, das machen Sie. Also ich
versuche das mit meinem Buch auch, ich zeige einfach, was ist im Irak
los, was ist im Jemen los, was ist in Gaza los und und und. In all
diesen Ländern. Ich zeige es, ich gehe hin, ich beschreibe
Schicksale. Das erste ist diese Aufklärung und das zweite ist, was
Sie auch machen, dass wir für ein Modell plädieren, das heißt
einfach, also für mich heißt das im weitesten Sinne Humanismus,
dass wir für die Werte von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit,
ich nenne mal diese drei, dass wir dafür eintreten, dass sie eben
nicht nur im Westen gelten, wo sie ja auch noch unvollkommen sind,
sondern dass sie für alle Menschen auf der Welt gelten.
… und dass Krieg nicht die Lösung ist …
Und Rassismus auch nicht. Das ist die Konsequenz, wenn man
humanistisch denkt. Und man kann jetzt unterschiedlicher Meinung sein
zu diesem kleinen Mädchen, das durch die Welt reist und als
Umweltstar gefeiert wird. Aber es zeigt doch, dass etwas geht. Warum
gehen wir – also jetzt ist diese Entscheidung für Waffenexporte an
Saudi-Arabien um sechs Monate verschoben worden – warum machen wir
zwei Wochen vorher oder drei Wochen oder eine Woche vorher nicht eine
große Demonstration in Berlin? Was so ein kleines Mädchen kann,
können wir Erwachsene doch auch!
Seine Berichte aus verschiedensten Regionen sind ziemlich hart, aber real !
Er ist Moralist ! Was
einigen etwas aufstößt oder bei
anderen Befremden hinterläßt:
Er drückt sich um die Beantwortung
wesentlicher "W-Fragen" herum. Er berichtet über das
"was", das "wo" und das "wie", aber
über die entscheidenden "W's", nämlich das "wer"
und das "warum" schweigt er sich aus. Beziehungsweise er
drückt sich mit der gröbst-möglichen Verallgemeinerung darum
herum. "Der Westen" sei der Übeltäter (aber nicht nur
der). Herr Todenhöfer, ernsthaft, geht's noch? Wer soll denn das
sein, "der Westen"? NATO-Generäle? Donald Trump? Das
Bundeskabinett? Die Bevölkerung? Die Parteien? WER BITTESCHÖN sind
die Verantwortlichen? Wer hat die Macht, solche Entscheidungen zu
treffen, gegen den Willen der Bevölkerung und gegen das
ausdrückliche Gebot unseres Grundgesetzes? Wessen Interessen dient
eine Kriegsbeteiligung? Cui bono? Wer konkret verdient an
Waffenlieferungen an Saudi-Arabien eine goldene Nase? Welche
Einflussmöglichkeiten nutzen diese Menschen? Sind diese demokratisch
legitimiert? Todenhöfer kratzt, wenn überhaupt, nur sehr, sehr
oberflächlich an diesen Fragen und, mehr noch, er bekennt, dass er
diese, unsere Zivilisation liebt. Doch diese Zivilisation hat ihre
Burg nun eben leider auf besagten Leichenbergen errichtet. Wir führen
einen imperialen Lebensstil, das heißt, unser Reichtum ist
untrennbar verknüpft mit der Armut und Unterdrückung von Menschen
in anderen Teilen der Welt. Das war zu Zeiten des römischen
Imperiums nicht anders, auch nicht zu Zeiten des britischen
Imperiums, wie Todenhöfer selbst am Beispiel der Opiumkriege
veranschaulicht. Doch diesen Lebensstil (und damit die Grundstruktur
unserer Zivilisation) infrage zu stellen, diesen Lebensstil als
Ursache für die Politik "des Westens" zu erkennen, fällt
ihm nicht ein. Dafür fehlt ihm ... ja was? Der Mut? Die Einsicht?
Die letzte logische Schlussfolgerung in der bis dahin soweit
korrekten Kette der Erkenntnisse? Und damit verbaut er sich selbst
den einzigen Weg, der gangbar wäre zu einer vielleicht, hoffentlich
möglichen Beendigung dieser Situation, einen Weg, den wir gehen
müssen, wenn die Menschheit als solche langfristig noch eine
Überlebenschance auf diesem Planeten erhalten soll. Denn die
gewaltigen Probleme, die in Windeseile auf uns zukommen, kann die
Menschheit nur in weltweiter, koordinierter Kooperation, nicht aber
im steten Wettbewerb und schon gar nicht im gegenseitigen
Abschlachten oder Ausbeuten und Übervorteilen lösen.