Noch ein Illies

 Bei Bahnstreik und Glatteis gelesen:


„Liebe in Zeiten des Hasses“ ist ein schillerndes Mosaik aus mehr als hundert Textminiaturen, von Illies als allwissendem Erzähler mit leichter Hand zusammengefügt. Und weil er sich als roten Faden für seinen Gang durch die Geschichte die Liebe auserkoren hat, verrät er uns in jeder einzelnen Anekdote vor allem private bis intime Details aus dem Leben und Lieben seiner prominenten Protagonisten. Ein Who is who mit viel Klatsch-und-Tratsch-Potential. Geschichtsschreibung also mal ganz anders, eher wie ein Blick durchs Schlüsselloch in die Schlafzimmer der damaligen Geistesgrößen. (und anderer Künstler ...)

Von Hannah Arendt bis Stefan Zweig nimmt Illies berühmte Biographien ins Visier. Anfangs fühlt man sich durch die lexikalische Informationsflut fast überrollt. Es empfiehlt sich, das Handy mit auf den Lesesessel zu nehmen, um kleine Wissenslücken durch einen schnellen Blick ins Netz zu schließen und um sich das Gelesene durch zeitgenössische Fotografien illustrieren zu lassen. Doch nach und nach stellt sich ein Muster ein. Illies nimmt unterbrochene Erzählfäden wieder auf. Manche Fäden kreuzen sich. Kleine Fortsetzungsgeschichten entstehen.

Das Buch ist in drei Abschnitte unterteilt: Es beginnt 1929 und endet 1939 mit Kriegsbeginn. Das Jahr der Machtergreifung 1933 teilt das Jahrzehnt in ein Davor und Danach und nimmt als unheilvoller Wendepunkt einen eigenen Abschnitt ein. Der eigentliche Inhalt des Buches ist nicht den zahlreichen Protagonisten gewidmet, die die Handlung bevölkern, sondern der schleichenden Veränderung in der Gesellschaft. Wie ein Unwetter zieht ein Zeitalter des Hasses herauf, unaufhaltsam und unheilvoll.

Die Liebe ist in allen Episoden das zentrale Motiv. Die Liebe in all ihren Facetten. Ob erfüllt oder unerfüllt, glücklich oder enttäuscht.(Von homo bis sexbesessen ...) Man liest und staunt, wer mit wem zusammen war in diesem wilden Jahrzehnt. Und der Gedanke drängt sich auf: Das ganze Liebe machen und nach der wahren Liebe suchen ist nichts anderes als der verzweifelte Versuch, Halt zu finden in einer Zeit, in der alles andere so kurz vor dem Abgrund steht.

Trotz der beeindruckenden Fülle an Details, der eine enorme Recherchearbeit (im Anhang sind seitenweise die Quellen wie z.B. Briefwechsel angegeben) vorausgegangen ist, taugt Illies‘ Buch jedoch weder zum Geschichtsbuch noch zum Nachschlagewerk. Dafür bewegt sich der Autor viel zu sehr an der Oberfläche. Illies‘ Stärke ist es, Atmosphäre zu zaubern, Stimmungen zu skizzieren. Wissenschaftlich fundierte Präzision stünde ihm da im Weg. Seine Sprache ist geschmeidig und elegant, pointiert auf den Effekt angelegt. Seinem Erzählen fügt er gerne ein leichtes Augenzwinkern (und Spott...) hinzu, womit er manche Szenen vor zu viel Pathos bewahrt.

„Liebe in Zeiten des Hasses“ ist vor allem eines: Grandiose Unterhaltung. Ein Geschichtsbuch in Light-Version bestenfalls. Eine vergnügliche Lektüre für Leute, die es lieben, wenn man ihre Neugier kitzelt. lIllies lädt dazu ein, den eigenen Wissenshorizont um weitere Namen und Begebenheiten zu erweitern und neue Zusammenhänge zu entdecken. ( und um Person und Werk zu trennen ?)

Ich werde es nochmal mit dem Internet im Hintergrund studieren ....